Montag, 21. Dezember 2009

Leseprobe : Die Bluse ( I.)

I

Ich hätte nein sagen sollen oder daß ich etwas vorhätte, als mich meine Tante Dorchen Faßbender am Eingang des amerikanischen Riesen-Warenhauses mit Beschlag belegte und mich bat, sie zu begleiten: sie müßte sich nur eben eine Bluse kaufen, erklärte sie obenhin. Eine Bluse kaufen, das war ja schließlich eine einfache und schnell erledigte Sache, dachte ich mir und ging mit. Außerdem hatte die Tante mir schon häufiger Rechnungen meines Schneiders bezahlt, das war entsprechend zu beachten.

Der Scharfsinn eines Indianers gehört dazu, um sich in einem modernen Warenhaus zurechtzufinden und noch zu Lebzeiten den begehrten Gegenstand zu kaufen.
Die Tante sagte, sie wisse Bescheid, und drängte sich durch die Menge, die sich in den Gängen zwischen den Verkaufsständen hin- und herschob. Sie trat energisch auf sie hindernde Füße und stieß Langsame mit der Krücke ihres Zanellaschirmes verstohlen in den Rücken. "Da drüben bekommen wir das Gewünschte", sagte sie mit Bestimmtheit. Ich vertraute der Tante. Wir schoben nach drüben. Wir blieben einen Augenblick am Verkaufsstand für Emaillegeschirr stehen.
"Was darf's sein?" fragte verbindlich ein rotbackiges Fräulein. "O, wo finde ich Blusen?" erkundigte sich die Tante, die scheinbar doch nicht so ganz Bescheid wußte. "Bitte, erste Etage, Aufzug", war die Antwort.

Die Tante zog vor, die Treppe zu benutzen, aus Vorsicht. Es sei einmal ein junger Mann im Aufzug zerquetscht worden. Diese Legende geht von jedem Aufzug. "Blusen - bitte rechts und dann links", wies uns ein junger Herr in mittleren Jahren, den man Herr Markuse nannte und der scheinbar eine Rolle spielte.
Wir waren geschmeichelt und gingen in die bezeichnete Richtung. "Nein, nein, nein", schrie die Tante plötzlich unwillig, als sie an dem gesuchten Stand von Blusen ankam und die Auslagen musterte. "Ich will keine fertige Bluse, ich will Stoff für eine Bluse, im Haus zu nähen.
Da steht man sich billiger", raunte sie mir erklärend zu. Ich fand das sehr unangebracht, so eine Bluse erst mal mit großen Umständen zu nähen, wo man sie doch hier fix und fertig zum Anziehen kaufen konnte.

Überhaupt bereute ich ein wenig meine Bereitwilligkeit, die Tante zu diesem Blusenkauf zu begleiten.
"Ah, Stoff für eine Bluse für die Dame?" sagte verstehend Herr Markuse, der uns gefolgt war.
"Bitte, bemühen sich die Herrschaften nach der vierten Etage, dort finden Sie, was Sie wünschen." Wieder mühselige Treppen, trotz des Asthmas der Tante. Solche Aufzüge bleiben schon mal stecken, dann verhungern die Insassen. Das ist auch so eine Legende, die man sich in jedem Aufzug erzählt.

Natürlich entsprach der Stoff, den man der Tante auf der vierten Etage vorlegte, keineswegs ihren Wünschen und Absichten. Was man ihr da zeigte, war doch Wolle, was für Dienstboten zu Weihnachten, aber nicht für eine Staatsbluse der gnädigen Frau zu gebrauchen war. "Wolle hält aber doch warm", meinte ich schüchtern. "Ist aber nicht schick", strafte mich die Tante. "Ich will die Bluse für das Zoologische-Garten-Konzert; Frau Bender soll die Platze kriegen", lachte sie hämisch. Jetzt kam es heraus; die Tante wollte eine seidene Bluse bzw. den Stoff dazu. "Da müssen sie sich nach unten bemühen, dort rechts vom Haupteingang, etwa vierzig Minuten weit, ist die Seidenabteilung", klärte man sie auf. "Dort ist der Aufzug."

Sie begann von der 150 Meter hohen Vierten-Etagen-Treppe den mühevollen Abstieg. Das Seil konnte reißen und der Aufzug herunterrasen und zerschmettern. Das war auch so eine Legende, die die Tante bewog, das gefährliche Vehikel nicht zu benutzen. Ich sagte leise das kleine Einmaleins auf und berechnete aus dem Wachsen meines Bartes, wie lange wir uns bereits hier in dem Warenhause befanden. Durch das Treppensteigen bekam ich ein müdes Gefühl in den Kniekehlen, wie wenn ich dreimal hintereinander das Matterhorn bestiegen hätte, ein Klavier mit Lehrer im Rucksack.


Wie es weitergeht? Hier: http://www.hermann-harry-schmitz.de/home.htm

Freitag, 4. Dezember 2009

Drei Fabel ohne Moral

Der Fuchs und die Trauben

»Na, ich konnte mir auch denken, daß die Trauben noch nicht reif waren«, sagte der Fuchs und stellte den Stuhl, auf welchen er gestiegen war, um die Trauben zu kosten, wieder an seinen Platz. Er streckte sich behaglich am Fuße des Weinstockes aus und ließ sich die Sonne auf den Pelz brennen. Von ohngefähr kam der Rabe geflogen. Der Rabe war ein Witzbold, ein wenig Satiriker; die Tiere meinten, er sei boshaft. Er selbst hielt sich für einen Lebens-Künstler; er war stets im evening dress.

»Hallo, wie schaut's, alter Freund«, – Leute, die man nicht mag, nennt man gern alter Freund – rief er dem Fuchs zu.

»N Tag«, erwiderte lässig der Fuchs.

»Ah so, Traubenkur, was?«

»Zu sauer«, gähnte der Fuchs faul.

»Verstehe, verstehe«, kicherte hämisch der Rabe, flog an den Weinstock und pickte eine dicke Beere ab.

»Pfui Teufel!« Wütend spuckte er aus und flog beschämt davon.

Der Fuchs feixte befriedigt.

Mittwoch, 25. November 2009

Hermann Harry Schmitz - Der Dandy vom Rhein